Krasavice, Katja: Bitch Bibel – riva Verlag, 2020

Problematisiert von Beate Meinck, Stadtbibliothek Reutlingen, und Tom Becker, TH Köln im Februar 2021

Im Sommer 2020 sorgte das Buch „Bitch Bibel“ der Influencerin, Youtuberin und Musikerin Katja Krasavice für Wirbel. „Hinfallen, aufstehen, Gucci-Cap richten“ – so betitelt Lili Hering in der Zeit ihre Besprechung und fährt fort: „Die Gebote der 23-Jährigen kommen in derber Sprache über uns. 'Leben und leben lassen, Bitches! Amen.' Ihr Gefühlshaushalt erinnert an eine Rolltreppenfahrt in einer beliebigen Shopping Mall. Krasavice ist mal <<ultrahappy>>, dann <<am Arsch>>, hat <<Lachflash>>, <<Heulflash<< oder <<Erkenntnisflash>>. Sie ist <<gefickt>> wegen eines gelöschten YouTube-Kanals und hat <<Schmerzen des Todes>> nach einer Schönheitsoperation. Manchmal ist das Leben <<ultrasweet>>, dann ziehen nach dem Tod eines Angehörigen <<mentale meterdicke Regenwolken‘ auf.>> Die Bitch Bibel erzählt von Verletzungen und Verlusten, Träumen, Traumata, Cash und Erfolgen. Aber eigentlich geht es vor allem ums Aussehen: >>Hinfallen, aufstehen, Gucci-Cap richten.>> Lebensziel Barbiepuppe.“

Darf das Buch einer Frau mit aufgespritzten Lippen und vergrößerten Brüsten und einem explizit sexualisierten Youtube-Kanal als Werk des Popfeminismus bezeichnet werden? Oder taugt das Werk nicht genau zum Gegenteil, ‚gefährdet‘ es junge Frauen und Mädchen, sich als Sexobjekt zu stilisieren und v.a. auch junge Männer, Frauen zu objektivieren und zu sexualisieren? Die christliche Gruppe ‚Citizen Go‘ wollte die Verbreitung des Buches mit einer Petition an den Verlag (1) stoppen. Aufhänger war das Titelbild des Buches, auf dem Krasavice halbnackt in Marien-Pose zu sehen ist. ‚Citizen go‘ kritisierte im Weiteren den „vulgär-blasphemischen Titel, wie auch […] die vulgäre Aufmachung dieses schädlichen und gefährlichen Buches“.

Agiert Krasavice ‚selbstermächtigend‘ und postfeministisch, indem sie Frauen zu einem aktiveren Umgang mit Körperlichkeit auffordert oder verstärkt sie (bewusst oder unbewusst) eine Art ‚Opferhaltung‘, in der der v.a. sehr junge Frauen darin bestärkt werden, dass es ‚in Ordnung‘ und ‚cool‘ ist – letztendlich auch erstrebenswert und gar Verdienst bringend - für mediale Aufmerksamkeit alles zu tun? Der „Boss Bitch“, so Hering in der Zeit, sei das natürlich egal: „Die <<Trennung zwischen Selbstbestimmtheit und Barbie>> wolle sie aufheben, das patriarchale System überwinden <<mit den Klischees dieses Systems selbst>>.

Differenzierter scheint die Rezension von Jurek Skrobala im Spiegel, der auf die Biografie der Autorin eingeht und auch – zumindest Teile des Buches – als „Manifest der authentischen Künstlichkeit“ bezeichnet: „Sie tritt eher als eine Art große Schwester auf. Und die Rolle steht ihr ganz gut: Sie lobt Andersartigkeit. Plädiert für konstruktive Kritik. Oder schreibt Sätze wie: <<Zur echten Frau wird man nicht durch einen Typen, sondern nur durch seine innere Einstellung.>>"

Katja Bach bewertet mit ihrem Team aus Sicht der Servicestelle Kinder- und Jugendschutz von fjp>media, dem Verband junger Medienmacher in Sachsen-Anhalt, den Titel sehr kritisch: „Im Buch selbst sind einige Passagen auszumachen, die eindeutig nicht für Kinder unter 16 Jahren geeignet sind. Hier beschreibt Katja Krasavice recht ausführlich einige sexuelle Erlebnisse und Praktiken, die durchaus in der Lage sind, die Entwicklung von Heranwachsenden nachhaltig zu beeinträchtigen und ihnen ein nicht realistisches Bild von Sexualität zu vermitteln. Auch einige Fotos im Buch bewegen sich an der Grenze zu pornografischen Inhalten. Etwas, das Katja Krasavice inzwischen nur allzu gut beherrscht: Denn nach anfänglichem Ärger mit den Plattformbetreiber*innen (ihr erster YouTube-Kanal ist beispielsweise seit Jahren gesperrt, s.o.), bewegen sich inzwischen viele ihrer Posts und Videos stark an der Grenze des Erlaubten.“ Sie finalisiert ihre Besprechung wie folgt: „Aufgrund der oben aufgeführten grenzwertigen Passagen ist das Buch geeignet für Erwachsene. Kinder und junge Jugendliche sind noch nicht in der Lage, die Aussagen im Buch einzuschätzen, zu reflektieren und im Kontext zu betrachten.

Auch in ForumOEB ist der Titel im letzten Jahr sehr heterogen diskutiert worden: Darf ein solches Werk Jugendlichen überhaupt zugänglich gemacht werden? Stimmen aus der Diskussion – die Zitate wurden von den Kolleg*innen freigegeben oder anonymisiert:

  • Die BitchBibel […] ist […] aus Jugendmedienschutzsicht nicht für 12-Jährige geeignet, steht ihnen aber uneingeschränkt zur Verfügung. Bei Computerspielen oder Filmen sind wir ja dank Altersfreigaben auch sensibler. Warum also nicht auch bei Büchern?
    Jessica Burkhardt, Stadtbibliothek Magdeburg. In: ForumOeb am 20.08.202 (Zitat freigegeben im Februar 21)

  • Es ist juristisch nicht sauber, dass sie vor Ort selbst zensieren. Bibliothekare haben manchmal das Gefühl da die Bibliothekspolizei zu spielen, das ist aber nicht wirklich sinnvoll und auch unterstützend. Wir möchten, dass Kinder und Jugendliche lesen und auch Schrott lesen, gehört manchmal dazu, damit man selbst die Erfahrung macht, das ist nicht wirklich toll und ich ekle mich davor oder genieße den Schauer der Aufregung, das gehört doch zum Erwachsenwerden dazu. Wir haben natürlich dieses wunderbare Buch „Die Bitch Bibel" im Angebot, da sie über Spiegel Bestseller kam, das müssen wir aushalten und dann wird bald die nächste Sau durch das Dorf gejagt und das war es.“
    Kommentar einer Bibliotheksleitung, Zitat nicht freigegeben. In: ForumOEB vom 20. August 2020, 11:07

  • Eine Herangehensweise, die vielleicht vertretbar ist für die jeweiligen Buchtitel wäre, sofern der Roman verfilmt wurde diese Titel an die FSK-Empfehlung anzugleichen. Das mag zwar bei manchen Jugendlichen für Verdruss sorgen, lässt sich aber schön argumentieren. Wer dann die Bücher unbedingt lesen möchte, darf den Buchhandel unterstützen.
    Heiko Proft | Stadtbibliothek Göppingen. In: ForumOEB am 19.08.2020, 10:35 (Zitat freigegeben im Februar 21)

  • Man könnte aber von seinem Hausrecht Gebrauch machen und Abteilungen oder einzelne Werke mit einer Altersbeschränkung belegen. […] Zu bedenken gebe ich aber, dass beispielsweise nicht jedes 12-Jährige Kind schon jeden Thriller oder Erfahrungsbericht einer Prostituierten lesen sollte. Nehmen Sie ganz aktuell hierzu nur die BitchBibel von Katja Krasavice, die wochenlang ganz oben auf den Bestsellerlisten zu finden war. […] Um allerdings ausschließen zu können, dass Kinder entsprechende Literatur ausleihen, bedarf es einer pädagogischen und jugendschützerischen Einschätzung der entsprechenden Bücher. Und das Lesen vor Ort in den Bibliotheken müssen ebenfalls „überwacht" werden. Ich befürchte, dass dies für Bibliotheken absolut nicht leistbar ist.
    Jessica Burkhardt, Medienpädagogin der Stadtbibliothek Magdeburg. In: ForumOEB vom 19. August 2020, 10:17 (Zitat freigegeben im Februar 21)

  • Wieviel Diskussion wollen wir uns und den Kolleginnen an der Theke antun, wenn man auf keine rechtliche Grundlage verweisen kann? Schon bei der FSK sind manche Thekengespräche (seltsamerweise eher mit den Eltern) unangenehm. […] Und wer kennt seine jugendlichen Leser so genau, dass man abschätzen kann, was man ihnen zumuten kann? Und soll man verhindern (und wie?), dass die entsprechenden Bücher in der Bücherei gelesen werden? Ich glaube, wir können vielleicht eine Empfehlung aussprechen, mehr nicht.
    Maria Poll | insel-Familienbibliothek Türmchen Marl. In: ForumOEB vom 17.08.2020, 16:46 (Zitat freigegeben im Februar 21)

  • Ich erlebe in den letzten Jahren immer mehr Zensur und Kontrolle durch die Eltern, die Kinder und auch Jugendlichen kommen immer seltener allein oder mit FreundInnen, werden gefahren und gebracht und es wird bewertet von Seiten der Eltern usw. Ich halte es für wichtig, dass wir Kinder und Jugendliche ermuntern sich frei Medien auszusuchen und auch mal einen Fehlgriff zu machen und dann ist es doch schön, wenn wir dann da bereit sind mit ihnen darüber zu sprechen. Wir haben juristisch keinerlei Handhabe Bücher und Medien, die nicht fsk- und usk-geprüft sind, zu zensieren bzw. wegzuschließen. Ich halte das auch immer wieder für sehr bedenklich, denn es bedeutet ja, dass jede und jeder sich von uns anmaßt da wirklich entscheiden zu können, welches Kind bzw. welcher Jugendliche soweit oder nicht so weit entwickelt ist, dass er oder sie das Buch bzw. das Hörbuch lesen bzw. hören kann. Und natürlich ist das Zensur.
    […] Ich würde als junger Mensch nicht gern in eine Bibliothek gehen wollen, wo ich mich so überwacht fühlen würde und ich halte auch alle technischen Möglichkeiten juristisch nicht für haltbar, wir haben dann bisher halt immer Glück gehabt, dass die LeserInnen in den Bibliotheken das so sang- und klanglos hinnehmen. Wäre ich Kommunalvertreterin in einer Kommune, die das so einschränkt würde ich sehr gern die Begründungen dafür wissen, das Hausrecht halt ich da für sehr weit hergeholt. Ist es nicht besser mit den Lesern und Leserinnen im persönlichen Gespräch zu bleiben und auch mal nach zu fragen, was besonders interessant an bestimmten Titeln ist und darüber zu diskutieren, warum Sie das anders sehen.

    Kommentar einer Bibliotheksleitung, Zitat nicht freigegeben. In ForumOEB vom 20. August 2020, 11:07

Es bleibt also schwierig.

Eigentlich wollten wir mit einem Plädoyer enden, doch auch junge Leser*innen für mündig genug zu halten, selbst Ausleihentscheidungen zu treffen (und wer weiß – vielleicht leihen sie das nächste Mal Literatur zu Feminismus und Philosophie aus). Nun – kurz vor der Publikation – haben wir noch einmal lange über gerade diesen Titel und die Besprechung dazu intern diskutiert, und bei dem Mail-Verkehr mit Bitte um Freigabe der ForumOEB-Zitate merkt Frau Burckhardt zu Recht an, dass sich der „Artikel [hier…] auf keine Seite [schlägt], was sicher auch Ihre Intention ist“.

Sie fragt nach der Haltung der Rezensent:innen. Die hatten wir dann kurz (wir – Beate Meinck und Tom Becker – sind uns hier sehr einig) in einer Version hier eingestellt, letztendlich aber wieder gelöscht. Selber Position beziehen (so tatsächlich unsere Spielregeln hier) wollten wir im Kontext der Webseite zu ‚Medien an den Rändern‘ vermeiden. Ein Problematisieren von Titeln und Autor:innen soll den Kern des Angebots darstellen, ‚Bibliothekspolizei‘ wollen wir in keine Richtung werden! Wollte man den Titel aber kontextualisieren, könnte man ebendieser das Wort geben und eine Schulklasse im Philosophie- und/oder Ethikunterricht zur Diskussion in die eigene Bibliothek einladen.

Literatur:

(1) Website der Petition - Stoppen Sie die Veröffentlichung der "Bitch Bibel"